Der Abstand ist entscheidend – HYLO
Der Fall: Für neue Marken gilt bekanntlich: Der Abstand ist entscheidend!! Von bereits existierenden Marken! Diese Selbstverständlichkeit wirft in der Praxis jedoch immer wieder Probleme auf:
Ein deutsches Pharmaunternehmen vermarktet Tropfen gegen trockene Augen. Die Tropfen enthalten den Wirkstoff „Natriumhyaluronat,“ in Deutschland bekannt als
Für die Produkte hat das Unternehmen die Wortmarke
registrieren lassen. Es gibt eine ganze Augentropfenserie mit dieser Marke, etwa:
Ein italienisches Pharmaunternehmen vermarktet ebenfalls Tropfen gegen trockene Augen in Deutschland. Und auch diese enthalten den Wirkstoff „Hyaluronsäure“. Das Unternehmen hat für sein Produkt die Marke
registrieren lassen.
Der deutsche Hersteller sah hierdurch seine Marke „HYLO“ verletzt. Er verklagte das italienische Unternehmen auf Unterlassung und Schadensersatz. „HYALU“ halte nicht den nötigen Abstand von „HYLO“ ein und sei deshalb eindeutig verwechslungsfähig. „HYLO“ habe keinen geringen Schutzumfang. Es sei ein eigens entwickeltes Kunstwort und enthalte keinen beschreibenden Anklang an den Wirkstoff „Hyaluronsäure“. Aufgrund eines Marktanteils von über 30 % sei man Marktführer.
Aber waren die Zeichen wirklich verwechslungsfähig?
„Hyaluronsäure“ wird in Deutschland in der Werbung und auf Produktverpackungen als Wirkstoff von Augentropfen vielfach herausgestellt. Der Wirkstoff ist deshalb in Deutschland in erheblichem Umfange bekannt.
Der deutsche Verbraucher erkennt damit auch, dass „HYLO“ nur eine Abwandlung von „Hyaluronsäure“ ist. Von der bekannten Wirkstoffbezeichnung übernimmt „HYLO“ nämlich die erste Silbe „Hy“, die die Gedankenführung mitbestimmt. Ferner werden die klanglich wichtigen Buchstaben „l“ und „o“ von „Hyaluronsäure“ übernommen.
Originell ist an „HYLO“ die ungewöhnliche Buchstabenzusammenziehung bzw. Teilauslassung. Darauf beruht die Unterscheidungskraft von „HYLO“. Und diese Besonderheit vermittelt dem Verkehr den Hinweis auf die Herkunft der Augentropfen aus dem Hause des deutschen Unternehmens.
Auch „HYALU“ enthält eine Abwandlung der Wirkstoffbezeichnung. Im Unterschied zu „HYLO“ übernimmt „HYLAU“ jedoch – völlig anders – den Anfang von „Hyaluronsäure“ komplett. „HYALU“ enthält insbesondere nicht die unterscheidende Zusammenziehung von Buchstaben wie „HYLO“.
Aber war dieser Abstand überhaupt von Bedeutung für die Markenähnlichkeit?
Die Antwort ist: Ja. Beide Zeichen enthalten nämlich verschiedenartige Abwandlungen derselben freihaltungsbedürftigen Sachbezeichnung.
So ist die Bildwirkung der Abwandlungen verschieden. Und „HYLO“ klingt anders als „HYALU“. Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr die Zeichen regelmäßig nicht nebeneinander wahrnimmt. Eine Markenähnlichkeit kann sich deshalb auch aus der Erinnerung der Verkehrskreise ergeben. Beim Erwerb von Augentropfen, wie auch bei allem, was mit einer medizinischen Behandlung zusammenhängt, also auch dem Erwerb von Medikamenten und Medizinprodukten, ist der Verkehr jedoch besonders aufmerksam. Deshalb behält er auch die bildlichen und klanglichen Unterschiede der Abwandlungen in seiner Erinnerung.
Die Gemeinsamkeiten beschränken sich im Wesentlichen nur begrifflich auf die schutzunfähige Fachangabe. Aufgrund seiner erhöhten Aufmerksamkeit im medizinischen Bereich weiß der Verkehr jedoch, dass Bezeichnungen von Medikamenten oder Medizinprodukten häufig silbenweise Abwandlungen von Wirkstoffbezeichnungen enthalten. Er entnimmt solchen Wirkstoffhinweisen deshalb keinen Hinweis auf die Herkunft der Produkte aus einem bestimmten Unternehmen und sieht die Marken wegen der Übereinstimmung in solchen Wirkstoffhinweisen auch nicht als begrifflich ähnlich an.
Von Hause aus haben Marken, die, wie „HYLO“, erkennbar an eine beschreibende Angabe angelehnt sind, nur einen geringen Schutzumfang. Selbst wenn der Schutzumfang bei „HYLO“ jedoch durch die Marktführerschaft gesteigert wäre, würde sich nichts anderes ergeben. Denn es wäre dann nur von einer Steigerung des geringen Schutzumfangs auf einen normalen Schutzumfang auszugehen. Das würde nicht ausreichen, um die fehlende Markenähnlichkeit zu kompensieren.
Entgegen der Einschätzung der Vorinstanz hielt „HYALU“ von „HYLO“ den ausreichenden Abstand ein und war nicht verwechslungsfähig. Die Verletzungsklage wurde in der Berufungsinstanz abgewiesen,
OLG München, 05.08.2020, 29 U 4547/19.
Learnings: Wenn bereits Marken existieren, die sich an dieselbe beschreibende Angabe anlehnen, wie auch Ihre künftige Marke, sollten Sie für einen deutlichen Abstand gegenüber bereits existierenden Abwandlungen sorgen. Analysieren Sie dafür die Struktur der existierenden Abwandlungen der beschreibenden Angabe und suchen Sie sich eine andere Anlehnungsstruktur für Ihre neue Marke aus. Beachten Sie aber, dass an beschreibende Angaben angelehnte Marken – unabhängig davon – bereits von Hause aus nur über einen geringen Schutzumfang verfügen. Das macht auch Ihre neue Marke nur wenig wehrhaft!
Hinweis: Lesen Sie zum Schutzumfang von Marken mit beschreibenden Bestandteilen auch den folgenden BestCase:
Lohnen sich Investitionen in schwache Marken? – Vegan